Die Bände um die Biss – Erzählung sind inzwischen schon eine bestsellernde Sensation: Vampir liebt menschliche Maid ohne sie gleich vernaschen zu wollen. Diese Geschichte vertritt die offenbar reizvolle Idee: Biss dass selbst der Tod das liebend Paar nicht scheidet.
In aller Ernsthaftigkeit wird die mögliche humane Liebesfähigkeit eines Monsters als Realität grundgelegt. Die soundso vielte Variante von der Schönen und dem Biest. Nur mit dem Unterschied, dass hier das Ungeheuerliche schön ist, unvorstellbar schön und Sie nur das Aschenputtel, das erst durch seine Beachtung aus dem tristen Alltag erhoben wird. Also doch der Klassiker.
Eine große Liebe, eine mächtige - unerfüllte Sehnsucht, der zartrosa Traum des erwachenden Mädchens, das sich, beladen mit den tausend Klischees, die wir alle so gut kennen, dem wirklichen Leben zuwenden möchte. Der Reiz der so genannten (literarischen) großen Liebe ist immer auch mit einer Unerreichbarkeit - dem fast schon Unmöglichen - verquickt. Das schmerzliche Sehnen, das künstlich aufgebauschte Begehren steht gegen eine Unerfüllbarkeit! Denn immer prallen unvereinbare Welten aufeinander. Romeo und Julia for ever! Versehen mit happyenden Schlussakkorden...
Die Schriftstellerin Stephenie Meyers hat in gekonnter Weise all diese Stereotypen miteinander verwoben, die bekanntermaßen eine Liebesgeschichte erst richtig spannend machen: Sehnsucht und Geheimnis, Liebe und Verrat, Gewalt und Hingabe, Anarchie und Ekstase, Illusionen und Verlust, Schmerz, Tod und Erlösung. Die Hauptzutat dieser bizarren Liebe ist jedoch ihre Unmöglichkeit. Diese Liebe ist so schmerzhaft groß, da sie für ein einfaches Menschenkind kaum zu ertragen ist und auf die eine oder andere Art tödlich enden wird.
Isabella Swan, wir könnten großzügig ihren Namen mit „Schöner Schwan“ übersetzen, obwohl anfangs die Autorin immer wieder das hässliche Entlein betont, wird von ihrer Schöpferin als fast schon prüde Außenseiterin geschildert. Es dauert bis zum letzten Band, bis aus der unscheinbaren, aber auch pragmatisch unkonventionellen Menschenfrau, die überirdisch schöne und mit außergewöhnlichen Gaben ausgestatte Vampirin wird und wir uns endgültig im Reich der Fiktion befinden. Denn zuvor erscheint es uns als ein alltägliches Geschehen, wie die junge Frau auf diesen faszinierenden, ebenso jung erscheinenden Mann reagiert. So kennen wir es, so soll es sein. Sie wird erhoben, da ein, noch dazu außerordentlicher, Mann sie zur Kenntnis nimmt. Warum, wird schon nicht mehr gefragt….
Der Vampir Edward, mit dem Aussehen eines Siebzehnjährigen und der Reife eines alten Mannes, begehrt Bella nicht nur aus Blutdurst, sondern auch ihrer, nur für Vampire interessanten Ausstrahlung, genauer gesagt ihres Geruches wegen. Dieser Mann ist die Bedrohung pur. Bella fühlt sich von seiner faszinierenden Erscheinung angezogen und schnell ist sie ihm, wie man schön sagt, unrettbar verfallen. Er hebt sie aus der Anonymität ihres Kleinstadtlebens, überdeckt die alltägliche Ödnis und die den Teenager so eigenen üblichen Selbstzweifeln.
Da ihr Geliebter nie mehr altert, möchte die, inzwischen Achtzehnjährige so schnell als möglich ihre menschliche Vergänglichkeit ablegen und dadurch an seiner Seite als würdige Gefährtin erscheinen. Eingefroren in ihrer Jugend für die Ewigkeit. Der Preis spielt keine Rolle mehr. Die hingebende Liebe an einen Mann als einziger Sinn des Lebens! Das Ignorieren und Akzeptieren der tödlichen Gefahr! Das unbedingte Nachfolgen in die Welt ihres ungewöhnlichen Verehrer und sei sie noch so grausam, denn dieser Eine ist anders als jeder andere simple Mann…
Meine inzwischen vierzehnjährige Enkeltochter gab mir vor einiger Zeit voll Begeisterung die Biss - Bände zu lesen und war froh, sich mit mir darüber zu unterhalten zu können, von der ersten Verfilmung zu schwärmen und die dämonisch schönen Darsteller anzuhimmeln.
Es ist immer gut, wenn es eine Erwachsene im Umfeld gibt, mit der eine jugendliche Leserin diese komplexe, aufwühlende und Sehnsucht weckende Story besprechen und über ihre Gefühle reden kann. Haben wir das nicht auch alle durchgemacht, vor mehr oder weniger langer Zeit? Vielleicht hatte unsere Literatur ja noch mehr den Charme von Courths-Mahler* und an die eigenen ersten Sehnsuchtsträume können wir uns bestimmt noch gut erinnern. Aber unsere Aschenputtelillusionen endeten meist im konventionell, vertrauten Märchenbereich. Die Idealisierung einer entmenschlichten Liebe finde ich jedoch mehr als zweifelhaft, fast möchte ich sagen schädlich!
Der ebenfalls in dem vier Bände - Werk vorkommende Werwolf Jacob bereichert dabei die Story von der unerfüllten Liebe, um die Freundschaftsvariante, somit um den brüderlichen Aspekt. Der „Bruder“ behält den Liebhaber im Auge! Er wird auf die Maid Acht geben, wenn er sie selbst schon nicht haben kann.
Die Werwölfe, sind anerkannterweise natürliche Feinde der Vampire, warum auch immer. Stephenie Meyers findet eine idealisierte Erklärung dafür. Diese Werwölfe zeichnen sich durch eine besondere Eigenschaft aus, sie sind per Schicksal auf einen bestimmten Menschen geprägt und diesem bedingungslos ergeben. Das gottgegebene (Liebes?)Paar! Eine uns nur zu gut vertraute und immer wieder gern genommene Ansicht. Denn irgendwie suchen wir alle den Menschen, der auf uns oder auf den wir, geprägt sein könnten. Ohne wenn und aber!
Es ist eine Sehnsucht, die nie aufhört, da wir die Zugehörigkeit zu den Unseren, vor allem zu den weiblichen Mitgliedern unserer Sippe schon lange verloren haben. Wir kennen diesen Schmerz des meist unerfüllten Begehrens nach Nähe, Zugewandtheit, Aufmerksamkeit, nach nährender Intimität, ausmacht und was allgemein als Liebe bezeichnet wird? Der Schmerz, der scheinbar unabwendbar ist. Wo kommt er her und wem nützt er? Und wieso wird er immer wieder als unverzichtbarer Bestandteil des Erwachsenwerdens und der sogenannten Liebe angesehen?
Die Vertreibung aus dem Paradies findet sozusagen immer noch tagtäglich statt. Das Kind wird der Mutter aus dem Arm genommen, von ihr getrennt und beginnt viel zu früh einen Lebensweg auf dem es alles auf die harte Tour lernt. Unsere männlich geprägte Vorstellung von „gesunder Entwicklung“ verhindert, dass wir uns die einfache Frage gar nicht mehr stellen: Wieso überhaupt Trennung von der Sippe? Wieso ist die Bindung der Frau an einen „Fremden“, dem sie sich oft genug auf Gedeih und Verderb ausliefert, der einzig akzeptierte Lebensentwurf in unserer Kultur und lässt sie ihre Lebensplanung auf flüchtige (romantische) Gefühle aufbauen?
Selbst wenn die Einzelne die Entscheidung treffen möchte, wieder die Nähe und die bedingungslose Zugehörigkeit zu der Herkunftsfamilie zu praktizieren, ist es inzwischen so gut wie unmöglich geworden, eine ursprüngliche weibliche Verbundenheit zu leben.
Wann ging sie uns endgültig verloren? Während einer der Völkerwanderungen? Beim letzten Überfall auf den Clan, als die Mutter erschlagen und die Schwester verschleppt wurde? Oder als man die Hexen jagte und verbrannte? Vielleicht während der letzten beiden Weltkriege? Oder schon sehr viel früher?
Die selbstverständliche mütterliche Nähe ein Leben lang, existiert nicht mehr in unserer Seinsvorstellung.
Was bliebe von der großen Liebesliteratur und all den HerzSchmerzGeschichten übrig, wenn die JungFrauen frei und selbstbestimmt den Liebespartner kommen und gehen ließen. Und eine Schwangerschaft auch kein Problem wäre, da ein jedes Kind in der mütterlichen Sippe willkommen wäre?
Übrigens, die elfjährigen Enkeltöchter haben inzwischen auch alle vier Bände gelesen. Die lese- und erkenntnishungrigen Teenager sind wohl in erster Linie Mädchen. Ich kann mir beim besten Willen keinen männlichen Elfjährigen vorstellen, der die vier dicken Bände von Stephenie Meyers durchliest und sich auch noch dafür begeistert. Trotzdem ist das Buch wohl in erster Linie für „den weiblichen Leser“ geschrieben und zwar im kompletten Klischeerahmen der konventionellen, patriarchösen Ausrichtung.
In jeder Zeit gibt es etwas Unerhörtes, Etwas von dem wir glauben, das ist jetzt aber der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit und des Werteverfalls oder der Bedrohung der Menschheit. Bis jetzt jedoch hat „die Menschheit“ alles überlebt und ist dabei noch angewachsen. Wohlgemerkt als Spezies! Die vielen Einzelschicksale, die Leben, die dabei immer wieder auf der Strecke bleiben, sind schnell vergessen. Uns bleibt nur zu hoffen, dass wir auch diesen Klassiker überleben. Und zum Glück für unsere Töchter gibt es keine wirklichen Vampire! Oder etwa doch?
Also dann Biss zum nächsten Mal…
* Hedwig Courths-Mahler, gebürtige Ernestine Friederike Elisabeth Mahler, geb. am 18. Februar 1867 in Nebra (Unstrut); † 26. November 1950 in Rottach-Egern; war eine deutsche Schriftstellerin.
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