29 Februar 2012

Schaltjahr

Alle vier Jahre bekommen wir einen Tag um die Zeit auszugleichen, um Kalender und Empfinden zu synchronisieren, um nicht hinter der kosmischen Uhr hinterher zu stolpern.

Diejenigen, die an diesem Schalttag Geburtstag haben, sind etwas Besonderes oder sie fühlen sich vielleicht ein wenig von der Zeit betrogen. Denn nur alle vier Jahre taucht eine vierundzwanzig Stundenspanne aus einem parallelen Zeituniversum auf, um danach wieder unbetrauert zu entschwinden. Der Ausgleich für das unvollkommen festgelegte Raster, in dem natürliche Verläufe bemüht zerregelt werden. Und nie stimmt der Jahresablauf so ganz. Eine kleine unkorrigierte Verschiebung ist immer noch vorhanden, die sich geheimnisvoll summiert und von der allgemeinen Wahrnehmung ignoriert wird.

Wir unterwerfen uns, gut abgerichtet, dem seit langem festgelegten Takt und füllen mit unserem Leben Stunden, Tage, Wochen nach vorgeschriebenen Muster aus. Die allen auferlegte Tyrannei des Kalenders ist nicht nur an diesem Schalttag spürbar.

Dabei ist die Zeit ein so wunderbarer und individueller Zustand, ein vollkommenes, eigenes Empfindungsmedium. Kaum etwas ist mit den Gefühlen Anderer weniger im Gleichklang als das Zeitgefühl.

Heute, in diesem Moment, befinde ich mich gerade auf einer dieser, gefühlt arkadischen, Insel, die unbeachtet von der Welt, durch Zeit und Raum treibt und auf der es Weile und Muße im Überfluss gibt….

… ich sehe zur Uhr und stelle fest der Vormittag ist zerflossen in hochkonzentrierten Gedanken, dem Schnüren kleiner Wortpakete und träumenden Blicken aus dem Fenster, hinter dem ein trüber Tag liegt … gleichmäßig grau und terminlos ruhig…






17 Februar 2012

Metapher

Da das Blogschreiben bei mir gerade brachliegt, greife ich mal zu einem alten Entwurf, den ich beim Aufräumen gefunden habe. Er stammt aus einer Zeit, als ich beim morgendlichen fünfzig Worte schreiben, feststellte: Metaphern passen nicht immer oder sind manchmal schlicht weg falsch... 

Kennt jemand noch den kratzigen Song aus den Anfängen der Achtziger: Die weißen Tauben sind müde? Und weiter ging es mit: ... sie fliegen lange schon nicht mehr, sie haben viel zu schwere Flügel und ihre Schnäbel sind fast leer - Jedoch die Falken fliegen weiter, sie sind so stark wie nie vorher und ihre Flügel werden breiter und täglich kommen immer mehr... 

Dieser schlichte und kulturkritisch - poetische Text, versehen mit einer noch schlichteren, eingängigen Melodie, traf damals den Nerv der Zeit und auch heute scheint er irgendwie immer noch passend. 

Es ist dieser Ausdruck einer gewisse Endzeitstimmung, die immer mal aufflammt, eine Metapher zum Niedergang einer friedvollen Weltgesellschaft, welche jedoch, wenn wir es genau nehmen, zu keiner der patriarchösen Zeiten je wirklich existiert hat. Der Text ist so was, wie die Beschreibung des aussichtslos scheinenden Kampfes gegen das Geflecht der kapitalistisch - militaristischen Kräfte: Die übermächtig daher kommenden Falken nehmen den harmlosen, friedlichen Tauben den Lebensraum und die weiße Friedenstaube ist zum Sterben verurteilt. 

Ein bestechendes Sinnbild bestimmter politischer Verhältnisse. Aber... ein falsches Bild!

Als dieses Lied einst veröffentlicht wurde, waren es eher die Falken und die anderen Greifvögel, die in Gefahr waren vernichtet zu werden. Vom Aussterben bedroht durch hemmungslose menschliche Ausbreitung und durch die typische gezielte Vernichtung bestimmter Arten. 

Das Anlegen der großräumigen, landwirtschaftlichen Nutzflächen zerstörte all die natürlichen, wilden Bedingungen, die eine Greifvogelpopulation braucht um ihre Jungen aufzuziehen und die Art zu erhalten. Menschliche Kultur zersiedelt natürliche Lebensräume und fördert oder erhält nur die Tierarten, die erst einmal in keine Konkurrenz zum Menschen treten. Und so haben es eher Luchs und Wolf und Bär schwer einen artgerechten Lebensraum zu finden. Wildtiere, ob klein oder groß, Raubtiere, Greifvögel werden seit einiger Zeit erst wieder geduldet und auch unter Schutz gestellt, um als Arten in unseren Breiten erhalten zu bleiben. 

Ja... und so sind es die Tauben, die sich bis jetzt besser behauptet haben. Sie ernähren sich üppigst von den Abfällen der menschlichen Gesellschaft. Sie werden gefüttert und nisten fast überall unbehelligt in menschlichen Siedlungen, so dass sie sich explosionsartig vermehren können in der von Menschen geschaffenen Zivilisation. Vielleicht hätte dieser Text besser so lauten sollen:

Die wilden Falken sind müde,
sie fliegen lange schon nicht mehr
sie haben viel zu wenig Freiheit
und ihre Schnäbel sind längst leer.
Jedoch die Tauben kreisen weiter,
sie sind jetzt stark wie nie vorher
und ihr Welt wird immer breiter
und täglich kommen immer mehr!
Nur wilde Falken fliegen nicht mehr...

Und die Grundaussage wäre mit diesem Refrain, so finde ich, weitaus zutreffender.



04 Februar 2012

Erlösung

Wir suchen alle irgendwie Erlösung – ein Erlösen aus vielleicht unerträglichen oder auch nur ungeliebten Lebensbedingungen oder von, auf uns einwirkende, Unterdrückungsmechanismen. Erlösung von Leid und Schmerz oder das Erlösen von Schuld, welcher Art auch immer – ein Erlöser hätte also eine Menge zu tun.

Das bindende Grundkonzept der monotheistisch Religionen fußt auf einem geschickt angelegten Schuld – Bekenntnis - Sühne – Vergebung – Konzept. Und je nach Zeit und Mainstream wurde ein bestimmter Teil bevorzugt. Heute sind wir sozusagen bei der Vergebung angekommen. Im Prinzip gehen wir doch davon aus, dass der mündige und ethisch handelnde Mensch sogar den unzureichenden Sündenkatalog der Zehn Gebote hinter sich gelassen und meist individuell diese Gebote so modifiziert hat, dass es sich damit leben lässt. Kulturelle Absprachen aber auch bestimmte Tabus, gestützt auf ein verinnerlichtes Rechtssystem, lassen uns die nötige Bewegungsfreiheit im Alltag außerhalb der alttestamentarischen Vorschriften.

Zudem lassen sich zu jedem der zehn Gebote jede Menge Fragen stellen. Zum Beispiel wie: betrifft das Tötungsverbot auch Tiere und Pflanzen oder nur Menschen oder nur bestimmte Menschen oder gibt es einfach nur privilegierte Menschen, die den anderen sagen, wann das Gebot gilt und wann man es vernachlässigen kann? Denn seit der Steintafeln waren weder vor den Geboten noch vor Gott alle Menschen gleich. Wobei das Weib noch mal extra außen vor war bei der Sache mit dem Menschsein.

Als Kind saß ich Sonntags in der Kirche und hörte mir die gehirnwäscheartigen Wiederholungen an. Es waren derer viele und ein Popanz wurde besonders sorgfältig aufgebaut und auf die schlichten Gemüter losgelassen um für ein kollektives schlechtes Gewissen zu sorgen: Christus starb am Kreuz für die Erlösung von den Sünden der Welt. 

Anfangs fand ich das Leiden des Herrn zwar noch bedauerlich - doch was gingen mich die Sünden der Menschen vor 2000 Jahren an? Die Erlösung war erfolgt und damit hatte sich die Sache für mich erledigt. Es dauerte ein zeitlang bis mir klar gemacht wurde, dass der Mensch per se sündig ist, mit einer Erbsünde geboren wird und immer und ständig Schuld auf sich lädt. Selbst so ein kleines harmloses Mädchen vom Dorf in den Fünfzigern. Das Sündenkonto der Menschheit war damals lediglich auf 0,0 gesetzt worden und ab da musste ein JedeR für sich selbst sorgen um keine Sündenschuld mehr anzuhäufen. Ich kam also aus der Nummer mit der Sünde nicht mehr raus.

Die Sünde ist Ungehorsam gegen Gott und schließt alles ein, auch die Gedanken und Gefühle (entsprechendes, wenn auch harmloseres Sünden-Beispiel: ...was für ein Blödmann, wie ich den hasse!). Wenn die Religionsbetreiber es geschafft haben, die dazu nötige Selbstkontrolle bei den Gläubigen auszulösen, ist irgendwann nicht nur mein Denken und Fühlen, sondern der gesamte eigene Körper mein Feind. Der Mensch wird zur Marionette, an deren Fäden jeder ziehen kann. Es dauerte lange bis ich die Mechanismen wahrgenommen, durchblickt und mich davon erlöst habe.

Diese Haltung der präventiven Schuld prägt immer noch unsere Kultur und Frauen haben darin so was wie eine epigenetische Neigung zum „sich Schuldig fühlen“ entwickelt. Und auch ihr Hoffen auf den (persönlichen) Erlöser ist ungebrochen. Von der permanenten Schuld des Ungehorsams gegen einen Vatergott und dem Wahn einen Erlöser zu benötigen, können wir uns eigentlich nur selbst erlösen.


Dieser Post ist im Zuge der Kommentarbeiträge bei Antje Schrupp entstanden.