28 April 2014

Brief an eine Tochter (im Geiste)

… immer wieder lese ich in diversen Foren und FB-Gruppen oder erfahre in Gesprächen von traurigen bis unglücklichen und trotzdem scheinbar nicht aufzulösenden Beziehungen* zu Partnern (die sich letztendlich nicht wie welche benehmen). Dabei suchen die Betroffenen nach Auswegen und möglichst dauerhaften Lösungen. Einmal um ihr persönliches Dilemma zu beheben und um zu retten, was zu retten ist. Denn die (große) Liebe muss gerettet werden, das ist doch wohl klar – diese Einstellung gehört zu unser aller Konditionierung. Die Liebe zu retten heißt, sich selbst zu retten. Aber warum ist das so?

Also hier der anderer Blickwinkel, der ein wenig weg von der allzu unmittelbaren persönlichen Betroffenheit hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Einblick führt. Und was soll das bringen?
Wenn eine Liebeskummer oder Beziehungsprobleme hat, dann ist wahrscheinlich das Letzte was sie tut, ihr persönliches Leid mit der kollektiven kulturhistorischen Entwicklung der Gesellschaft in Zusammenhang zu bringen. Warum auch, bringt uns doch das Wissen um geschichtliche Relevanz in der Regel erst einmal keine Linderung oder konstruktive Erneuerung.

Stimmt! Aber auch eine noch so innige Beziehung zu einem (Liebes)Partner ist keine immortale bzw. statische Angelegenheit, sondern wie das gesamte menschliche, also arteigene Zusammenleben, ein interaktiver (Fürsorge)Prozess. Wir wollen uns, auch über das erotische Verlangen hinaus, einander gut tun.

Früher oder später fragen sich die Leidtragenden in Krisen oder im Scheitern ihrer Beziehung,
a) wie und warum kam es zu meiner aktuellen (Lebens- bzw. Liebes)Gemeinschaft und
b) warum gerät der, doch allgemein als unauflöslich angesehene Pakt der Paarbeziehungen oder Ehe, immer wieder ins Wanken?


Unsere heutige (westliche) Gesellschaft besteht und das war nicht immer so, aus Singles oder Paaren (eventuell mit Kindern), die weitgehend isoliert unter der Herrschaft der Arbeitswelt ein adaptives, mobiles und überwiegend auf die Erwerbsarbeit abgestimmtes Leben führen. Zu unseren sozio-kulturellen Vorgaben der kollektiven Lebensgestaltung gehört die frühe Prägung eines jeden Heranwachsenden auf einen, noch unbekannten, künftigen Lebenspartner. Das Ganze wird inzwischen als serielle Monogamie praktiziert. Eine jede Person hat sich mit dem Erwachsenwerden aus den Herkunftszusammenhängen (und das eher früher als später) zu lösen und seinen natürlichen, also angeborenen Drang nach sozialer Gemeinschaft und Zugehörigkeit dauerhaft in der möglichst innigen Beziehung mit einem bis dahin fremden Menschen zu suchen.


Unsere heutige (westliche) Gesellschaftskultur funktioniert inzwischen wie eine riesige Single-Börse, in der das Individuum sich eines Partners versichern muss. Der Anspruch besteht von Anfang an darin, dass die Partner (auch wenn sie noch blutjung sind) sich die Geborgenheit und Fürsorge, die zu einem erfüllten Menschenleben gehören, einander angedeihen lassen. Sie müssen sich gegenseitig die Gefühls- und Energie-Nähe der zurückgelassenen Herkunftsfamilie ersetzen. Der Sieg der, in den Medien allgegenwärtigen, romantischen Liebe und eine angestrebte lebenslangen Befriedigung des erotischen Verlangens sind hier und heute die Steilvorlage.


Das alles ist nicht wirklich artgerecht.
Über den langen Zeitraum des Jahrtausende umfassende Patriarchat, wird 'die Frau' immer wieder aus ihrem natürlichen (matrifokalem) Herkunftszusammenhang gelöst und irreversible von der direkt zugewandten und somit energetischen Fürsorge durch eine konsanguine Angehörigensippe getrennt.
Die naturgemäße Ordnung der frühen egalitären Matrifokalität wird ignoriert, unterdrückt und im modernen westlichen Alltag unmöglich gemacht.


Heutzutage denken wir nur noch in Paarkonstellationen (Beziehungen) bzw. erfassen die Kleinfamilie, das tragische Mangelkonstrukt der Moderne, als die rechtmäßige Lebensgemeinschaft für jedermann, jedefrau und jedeskind. Die (einzige) anerkannte Grundlage dieser Minieinheiten ist die (romantische) Liebe zwischen zwei erwachsenen Personen, die sich auf dieser Basis zu der kleinstmöglichen wirtschaftlichen Beziehungseinheit zusammen tun. Eine solide Alltagsexistenz und somit auch der künftige Fürsorgeraum für Mutter und Kind, wird so auf der Grundlage flüchtiger Emotionen aufgebaut und wie gut das tatsächliche funktioniert, lässt sich in eigener Anschauung, der Literatur und den Medien verfolgen.


Das Ideal der klassischen Ehe (treu bis zum Tod) wurde bisher, wie die Geschichte zeigt, nur durch rigide und enge moralische, also misogyne, Gesetzesvorgaben halbwegs durchgesetzt. Trotzdem wird mehr denn je an diesen tradierten gesellschaftlichen Vorgaben festgehalten. Hier kann sich jedeR Gedanken machen, warum das wohl so ist.

Was haben diese, von mir aufgeführten Grundeinsichten nun zum Beispiel mit HSP** oder einer Scanner-Persönlichkeit zu tun?

Ich behaupte, was uns HSPlern oder Scannern (gerade den weiblichen) das Leben oft so schwer macht, ist die ungeheure Sehnsucht (die fast immer nur als diffuses Gefühl zugelassen wird) nach einer artgerechten, vielfältigen und gefühlsmäßig erfüllten Alltagsnähe zu wohlwollenden und auch verständnisvollen Menschen, die uns (er)kennen, unter denen wir uns ungezwungen bewegen und entfalten können.


Ein energetisch interaktives Zusammenleben (und -arbeiten) mit unseren Bindungsangehörigen, in einem geschwisterlichen und generationsübergreifenden Sinn, ist unser ursprüngliches, arteigenes Programm. Erotik und Sex mit einem Liebespartner waren auch vor Zeiten höchstwahrscheinlich eher das Sahnehäubchen im Alltag eines Erwachsenen.


Ein (moderner) Partner, der sich erst einmal nach dem Kennenlernen einen Überblick über die Person, die jetzt zu seinem Leben gehören soll, verschaffen muss, ahnt meist nicht einmal mit welchem Potential er es bei seiner PartnerIn tatsächlich zu tun bekommt. Zugleich wird erwartet, dass sie bzw. er den den gesamten Background an Zuwendung und Fürsorge, den artgerechterweise ein jeder Mensch braucht, ersetzen soll.


Wir alle, besonders als Teilnehmer der westlichen Moderne, sind in die Kargheit der Kleinfamilien und der späteren Vereinzelung hineingeboren worden und erwarten nun das Heil von einem Partner, der in der Regel selbst in seinen eigenen Mangel verstrickt ist. Hochsensible Menschen, die von Geburt an diese Mängel besonders deutlich verspüren dürften, müssen sich jedoch wie jeder andere auch mit den Parametern unserer Gesellschaft irgendwie abfinden.


Es wäre also eher hilfreich, dass Spektrum der eigenen Erwartungen an die Welt um uns herum, kräftig auszuweiten. Je enger wir unsere Welt gestalten, um so weniger erhalten wir auch von der, für uns so essentiellen, Zuwendung. Wenn unsere Gefühls- und Gedankenwelt nur noch um den sogenannten Partner kreist (und um das Problem, das wir mit ihm haben), dann müssen wir uns nicht wundern, dass sich das Leben wie „in einer Schneekugel gefangen“ anfühlt (Zitat einer Betroffenen). Nehmen wir also einerseits aktiv alle uns Nahestehenden, allen voran unsere Bindungsangehörigen, in unseren bewussten Alltag und in unserer tätige, verantwortungsbereite Aufmerksamkeit auf und halten weiterhin unsere Sinne offen. Leider ist es für die / den Einzelne(n) oft kaum möglich ad hoc eine unmittelbare Veränderung herbeizuführen und bestimmte Transformationen sind auch einem, sozusagen evolutionären, Tempo unterworfen.

Doch ist es immer hilfreich schon mal mit dem eigenen Umdenken zu beginnen und sich somit aus der Schleife von Selbstbezichtigung und unrealistischer Erwartung zu lösen. Jedenfalls wird es uns auf keinen Fall schaden den tradierten (zähen) Mainstream und seine „Liebesparameter“ für jedermann, auch mal zu hinterfragen. Sowie mit sich selbst und dem meist genauso überforderten Lebensgefährten etwas Nachsicht zu üben. Und vergessen wir vor allem nicht das Beispiel, dass wir unseren Kindern geben. Ich wünschte, mir hätte das eine wohlwollende Alte zu meiner Zeit gesagt...


* ich war auch mal eine Beziehungsgeschädigte...
** ... HSP - für 'hochsensible Personen', engl. 'Highly Sensitive Person'
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08 April 2014

Stichwort: Großmutterhypothese

aus einem Kommentar:

... es ist ein wirklich interessanter Ansatz, sich auch die Tierwelt bezüglich des Alters anzusehen... das Gen der Langlebigkeit hat jedenfalls nicht erst die Spezies Mensch entwickelt, wie wir wissen. Das einzelne langlebige Wesen profitiert somit von diesem arterhaltenden Vorteil und der biologische Sinn des Lebens ist sein eigener Erhalt.
Einmal in Gang gesetzt, ist Leben ein Selbstläufer und der Sinn seines Daseins ist sein Fortbestehen.
Die (menschliche) Art zu erhalten baut auf vielen Strategien auf. Entscheidend in der Menschen-Evolution war imho die Gruppe, bestehend aus konsanguinen Angehörigen, welche die mobile Schutzsphäre für den Nachwuchs bildete. 
In diesem natürlichen Grundkonzept findet auch die sogenannte Großmutterhypothese ihren Platz. Sie besagt, dass die, über die Menopause hinaus, länger lebende Frau eine entscheidende, die Art(erhaltung) fördernde Funktion innehatte und deutet damit das eben genannte, grundlegende, gruppenkollektive Fürsorgeverständnis an.
Das wird, meiner Meinung nach, immer noch nicht genug herausgestellt, dass die Großmutter (auch als Synonym für den Anteil der Älteren in einer Gemeinschaft) ein wesentliches Regulativ der (Menschen)Gemeinschaft ausmacht und das menschliche Dasein bereichert.
Auch andere Spezies sind je nach sozialer Organisation, auf das Erinnerungspotential der älteren und somit erfahreneren Teammitglieder angewiesen. Irgendwo habe ich gelesen, dass es beispielsweise für die heute existierenden Elefantenherden ein großes Problem darstellt, dass es kaum noch richtig alte Elefantenkühe gibt. 
Diese unersetzlichen Trägerinnen des Erfahrungsgedächtnisses, das sich über viele Jahrzehnte erstreckt und klimatische und jahreszeitliche Abläufe, verschiedene Gefahrensituationen sowie das basale optimale Elefantenleben gespeichert hat, zeigen ihren Nachkommen wie es geht, ein zufriedener Elefant zu sein und ebenfalls sehr alt zu werden. Und nur so zur Erinnerung - ein alter Elefantenbulle unterrichtet die Kleinen jedenfalls nicht, im Gegenteil sie werden von ihm ferngehalten.
Auch unser frühes menschliches Zusammenleben, die mütterlich und geschwisterlich geprägte Lebensgemeinschaft in der matrilinearen Gruppe bzw. Sippe, stellte nicht nur die Schutzsphäre für den Nachwuchs, sondern beschützte auch das wissende Potential der Gruppe, das durch die alten Mütter repräsentiert und getragen wird.
Wenn in generationsübergreifenden Lebensgemeinschaften keine älteren Frauen mehr den aktiven Alltag beleben, weiß vielleicht eines Tages keiner mehr, wie Menschlichkeit wirklich funktioniert. 


04 April 2014

Zuckerschlecken

...da ich zum Bloggen irgendwie so gar nicht mehr komme, greife mal in meinen Fundus und poste einfach ab und zu ein paar ältere Kommentare...

Kinder sind Mitmenschen in ihren ersten Lebensjahren. Eine Aussage zu treffen wie: ich mag keine Kinder!, bedeutet eigentlich auch: ich mag keine Menschen! Aber das kann natürlich jede halten wie sie will.
Wir alle fangen als das Kind unserer Mutter unser Leben an. Das ist ein Lebensmerkmal, genau wie, dass wir alle einmal sterben werden. Es ist die Unausweichlichkeit des lebendigen Daseins.
Der Mensch in unserer derzeitigen Gesellschaft hat sich mit der Entwicklung abgefunden, dass Kinder nicht wirklich zu unserem öffentlichen, sozialen Leben in allem Selbstverständnis gehören. Es gibt Bereiche in unserer Kultur, da kommen Kinder nicht nur nicht vor, sondern jeder versucht sie aus diesen "erwachsenen" Bereichen herauszuhalten. Kinder werden separiert und unsichtbar gemacht. Nur da, wo sie den Konsum antreiben, werden sie
als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen. Wir begegnen sozusagen kaum noch Kindern in 'freier Wildbahn'.
Auch die Erwachsene treten nicht überall selbstverständlich in Verbindung mit ihren Kindern auf. Mehr denn je werden Kinder in der öffentlichen Wahrnehmung ausgeblendet, quasi als störend empfunden und besitzen fast schon Seltenheitswert.
Wir sind an die kleinen Ghettos überall, Betreuungseinrichtungen aller Art, wie Kitas und Schulen gewöhnt, in denen Kinder einen oft entscheidenden Teil ihres Tages verbringen müssen. Das Durchschnittskind lebt überwiegend isoliert in seiner häuslichen Umgebung oder fernab seiner Angehörigen unter "seines gleichen" also in einer altersmäßigen Zusammenfassung und dort ist es in gewisser Weise schutzlos auf sich allein gestellt. 
Den kleinen Mitmenschen nicht zu mögen, heißt auch, ihn nicht zu kennen, sich nicht auf ihn einzulassen. Es gab für mich eine Zeit (Teenagern sein ist so eine Zeit), da konnte ich mir nicht im mindesten vorstellen, einmal Mutter zu sein. Damals sagte ich zu einer Freundin, dass ich nie Kinder wolle. Aber zu dem Zeitpunkt, kannte ich ja auch meine späteren Kinder noch nicht! Diese, mir zugehörigen Menschen, kennen zu lernen hat folgerichtig mein Leben und die Sicht darauf völlig verändert.
Ich plädiere hier jetzt nicht dafür dass Frauen unbedingt Kinder bekommen sollen, absolut nicht. Wie wir bereits festgestellt haben, ist eine solche Entscheidung ohnehin ein Dilemma. Mir geht es nur grundsätzlich um einen differenzierten Umgang mit diesem Thema und um die Feststellung das Kindsein in unserer Gesellschaft wahrhaftig kein Zuckerschlecken ist, wir es aber durchaus ändern könnten.
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